Pressemitteilung

Das kosmische Netz der Tarantel: Astronom*innen kartieren starke Sternentstehung in einem Nebel außerhalb unserer Galaxis

15. Juni 2022

Astronom*innen haben anhand von neuen Beobachtungen mit dem Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA) komplizierte Details der Sternentstehungsregion 30 Doradus, sichtbar gemacht, die auch unter dem Namen Tarantelnebel bekannt ist. Auf einem hochauflösenden Bild, das heute von der Europäischen Südsternwarte (ESO) veröffentlicht wurde und ALMA-Daten enthält, sehen wir den Nebel in einem neuen Licht: Hauchdünne Gaswolken geben Aufschluss darüber, wie massereiche Sterne diese Region beeinflussen.

"Diese Fragmente könnten die Überreste von einst größeren Wolken sein, die durch die enorme Energie zerfetzt wurden, die von jungen und massereichen Sternen freigesetzt wird - ein Prozess, der als Rückkopplung bezeichnet wird", erläutert Tony Wong, der die Studie zu 30 Doradus leitete, die heute auf der Tagung der American Astronomical Society (AAS) vorgestellt und im Astrophysical Journal veröffentlicht wurde. Ursprünglich dachten die Astronom*innen, das Gas in diesen Gebieten sei zu dünn und zu sehr von dieser turbulenten Rückkopplung beeinträchtigt, als dass die Schwerkraft es zusammenziehen könnte, um neue Sterne zu bilden. Die neuen Daten zeigen jedoch auch viel dichtere Filamente, in denen die Schwerkraft noch eine wichtige Rolle spielt. "Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Schwerkraft selbst bei sehr starker Rückkopplung einen starken Einfluss ausüben und zu einer Fortsetzung der Sternentstehung führen kann", fügt Wong hinzu, der Professor an der University of Illinois in Urbana-Champaign in den USA ist.

Der Tarantelnebel befindet sich in der Großen Magellanschen Wolke, einer Begleitgalaxie unserer eigenen Milchstraße, und ist eine der hellsten und aktivsten Sternentstehungsregionen in unserer galaktischen Nachbarschaft, etwa 170.000 Lichtjahre von der Erde entfernt. In seinem Zentrum befinden sich einige der massereichsten Sterne überhaupt. Einige haben mehr als das 150-fache der Masse unserer Sonne, was die Region zu einem idealen Ort macht, um zu untersuchen, wie Gaswolken unter der Schwerkraft kollabieren und neue Sterne bilden.

"Was 30 Doradus so einzigartig macht, ist die Tatsache, dass die Region nah genug ist, um im Detail zu untersuchen, wie Sterne entstehen, und dass ihre Eigenschaften denen ähneln, die man in sehr weit entfernten Galaxien findet, als das Universum noch jung war", erklärt Guido De Marchi, Wissenschaftler bei der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) und Mitautor der Studie, in der die neuen Forschungsergebnisse vorgestellt werden. "Dank 30 Doradus können wir untersuchen, wie Sterne vor 10 Milliarden Jahren entstanden sind, als die meisten Sterne geboren wurden."

Während sich die meisten bisherigen Untersuchungen des Tarantelnebels auf sein Zentrum konzentrierten, wissen Astronom*innen seit langem, dass auch anderswo starkee Sternentstehung stattfindet. Um diesen Prozess besser zu verstehen, führte das Team hochauflösende Beobachtungen durch, die eine große Region des Nebels abdecken. Mithilfe von ALMA maßen sie die Lichtemission von Kohlenmonoxidgas. Auf diese Weise konnten sie die großen, kalten Gaswolken im Nebel kartieren, die kollabieren und neue Sterne entstehen lassen - und wie sie sich verändern, wenn diese jungen Sterne riesige Mengen an Energie freisetzen.

"Wir hatten erwartet, dass die Teile der Wolke, die den jungen massereichen Sternen am nächsten sind, die deutlichsten Anzeichen dafür zeigen würden, dass die Schwerkraft durch die Rückkopplung überwältigt wird", ergänzt Wong. "Stattdessen haben wir herausgefunden, dass die Schwerkraft in diesen rückkopplungsexponierten Regionen immer noch wichtig ist - zumindest für Teile der Wolke, die ausreichend dicht sind."

In dem heute von der ESO veröffentlichten Bild werden die neuen ALMA-Daten mit einem früheren Infrarotbild derselben Region überlagert, das helle Sterne und leicht rosafarbene Wolken aus heißem Gas zeigt, die mit dem Very Large Telescope (VLT) und dem Visible and Infrared Survey Telescope for Astronomy (VISTA) der ESO aufgenommen wurden. Die Kompositaufnahme zeigt die ausgeprägte, netzartige Form der Gaswolken des Tarantelnebels, die ihm seinen spinnenartigen Namen gab. Die neuen ALMA-Daten sind dabei die hellen rot-gelben Streifen im Bild dargestellt: sehr kaltes und dichtes Gas, das eines Tages kollabieren und Sterne bilden könnte.

Die neuen Forschungsergebnisse enthalten detaillierte Hinweise darauf, wie sich die Schwerkraft in den Sternentstehungsgebieten des Tarantelnebels verhält, aber die Arbeit ist noch lange nicht abgeschlossen. "Es gibt noch viel mehr mit diesem fantastischen Datensatz zu tun, und wir veröffentlichen ihn, um andere Forscher*innen zu neuen Untersuchungen zu ermutigen", sagt Wong abschließend.

Weitere Informationen

Die hier dargestellten Forschungsergebnisse werden auf dem 240. Meeting der American Astronomical Society (AAS) im Rahmen der Pressekonferenz "Stars, Their Environments & Their Planets” (Mittwoch, 15. Juni, 19:15 CEST / 10:15 PT) präsentiert. Medienvertreter*innen sind herzlich eingeladen den Livestream der Pressekonferenz zu verfolgen, der über den YouTube-Kanal des AAS Press Office öffentlich zugänglich ist: https://www.youtube.com/c/AASPressOffice.

Die beteiligten Wissenschaftler*innen sind T. Wong (Astronomy Department, University of Illinois, USA), L. Oudshoorn (Sterrewacht Leiden, Universiteit Leiden, Niederlande), E. Sofovich (Illinois), A. Green (Illinois), C. Shah (Illinois), R. Indebetouw (Department of Astronomy, University of Virginia, USA und National Radio Astronomy Observatory, USA), M. Meixner (SOFIA-USRA, NASA Ames Research Center, USA), A. Hacar (Department of Astrophysics, Universität Wien, Österreich), O. Nayak (Space Telescope Science Institute, USA), K. Tokuda (Department of Earth and Planetary Sciences, Faculty of Sciences, Kyushu University, Japan und National Astronomical Observatory of Japan, National Institutes of Natural Sciences, Japan und Department of Physics, Graduate School of Science, Osaka Metropolitan University, Japan), A. D. Bolatto (Department of Astronomy and Joint Space Science Institute, University of Maryland, USA und NRAO Visiting Astronomer), M. Chevance (Astronomisches Rechen-Institut, Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg), G. De Marchi (European Space Research and Technology Centre, Niederlande), Y. Fukui (Department of Physics, Nagoya University, Japan), A. S. Hirschauer (STSci), K. E. Jameson (CSIRO, Space and Astronomy, Australien), V. Kalari (International Gemini Observatory, NSF’s NOIRLab, Chile), V. Lebouteiller (AIM, CEA, CNRS, Université Paris-Saclay, Université Paris Diderot, Frankreich), L. W. Looney (Illinois), S. C. Madden (Departement d’Astrophysique AIM/CEA Saclay, Frankreich), Toshikazu Onishi (Osaka), J. Roman-Duval (STSci), M. Rubio (Departamento de Astronomía, Universidad de Chile) und A. G. G. M. Tielens (Department of Astronomy, University of Maryland, USA und Leiden).

Die Europäische Südsternwarte (ESO) befähigt Wissenschaftler*innen weltweit, die Geheimnisse des Universums zum Nutzen aller zu entdecken. Wir entwerfen, bauen und betreiben Observatorien von Weltrang, die Astronom*innen nutzen, um spannende Fragen zu beantworten und die Faszination der Astronomie zu wecken. Außerdem fördern wir die internationale Zusammenarbeit in der Astronomie. Die ESO wurde 1962 als zwischenstaatliche Organisation gegründet und wird heute von 16 Mitgliedsländern (Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Finnland, Irland, Italien, den Niederlanden, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, der Schweiz, Spanien, der Tschechischen Republik und dem Vereinigten Königreich) sowie dem Gastland Chile und Australien als strategischem Partner unterstützt. Der Hauptsitz der ESO und ihr Besucherzentrum und Planetarium, die ESO Supernova, befinden sich in der Nähe von München in Deutschland, während die chilenische Atacama-Wüste, ein wunderbarer Ort mit einzigartigen Bedingungen für die Himmelsbeobachtung, unsere Teleskope beherbergt. Die ESO betreibt drei Beobachtungsstandorte: La Silla, Paranal und Chajnantor. Am Standort Paranal betreibt die ESO das Very Large Telescope und das dazugehörige Very Large Telescope Interferometer sowie zwei Durchmusterungsteleskope, VISTA, das im Infraroten arbeitet, und das VLT Survey Telescope für sichtbares Licht. Ebenfalls am Paranal wird die ESO das Cherenkov Telescope Array South betreiben, das größte und empfindlichste Gammastrahlen-Observatorium der Welt. Zusammen mit internationalen Partnern betreibt die ESO auf Chajnantor APEX und ALMA, zwei Einrichtungen zur Beobachtung des Himmels im Millimeter- und Submillimeterbereich. Auf dem Cerro Armazones in der Nähe von Paranal bauen wir „das größte Auge der Welt am Himmel“ – das Extremely Large Telescope der ESO. Von unseren Büros in Santiago, Chile, aus unterstützen wir unsere Aktivitäten im Land und arbeiten mit chilenischen Partnern und der Gesellschaft zusammen.

Das Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA) ist eine internationale astronomische Einrichtung, die gemeinsam von der ESO, der US-amerikanischen National Science Foundation (NSF) der USA und den japanischen National Institutes of Natural Sciences (NINS) in Kooperation mit der Republik Chile betrieben wird. Getragen wird ALMA von der ESO im Namen ihrer Mitgliedsländer, von der NSF in Zusammenarbeit mit dem kanadischen National Research Council (NRC), dem Ministry of Science and Technology (MOST) und NINS in Kooperation mit der Academia Sinica (AS) in Taiwan sowie dem Korea Astronomy and Space Science Institute (KASI). Bei Entwicklung, Aufbau und Betrieb ist die ESO federführend für den europäischen Beitrag, das National Radio Astronomy Observatory (NRAO), das seinerseits von Associated Universities, Inc. (AUI) betrieben wird, für den nordamerikanischen Beitrag und das National Astronomical Observatory of Japan (NAOJ) für den ostasiatischen Beitrag. Dem Joint ALMA Observatory (JAO) obliegt die übergreifende Projektleitung für den Aufbau, die Inbetriebnahme und den Beobachtungsbetrieb von ALMA.

Die Übersetzungen von englischsprachigen ESO-Pressemitteilungen sind ein Service des ESO Science Outreach Network (ESON), eines internationalen Netzwerks für astronomische Öffentlichkeitsarbeit, in dem Wissenschaftler und Wissenschaftskommunikatoren aus allen ESO-Mitgliedsländern (und einigen weiteren Staaten) vertreten sind. Deutscher Knoten des Netzwerks ist das Haus der Astronomie in Heidelberg.

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Kontaktinformationen

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Astronomy Department, University of Illinois
Urbana-Champaign, IL, USA
Tel: +1 217 244 4207
E-Mail: wongt@illinois.edu

Guido De Marchi
European Space Research and Technology Centre, European Space Agency
Noordwijk, Netherlands
Tel: +31 71 565 8332
Mobil: +31 6 5081 6906
E-Mail: gdemarchi@esa.int

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Peter Habison (Pressekontakt Österreich)
ESO Science Outreach Network und stem & mint e.U. – Space and Science Communications
Vienna, Austria
Tel: +43 676 648 7003
E-Mail: eson-austria@eso.org

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Dies ist eine Übersetzung der ESO-Pressemitteilung eso2209.

Über die Pressemitteilung

Pressemitteilung Nr.:eso2209de-at
Name:30 Doradus, Tarantula Nebula
Typ:Local Universe : Nebula : Type : Star Formation
Facility:Atacama Large Millimeter/submillimeter Array

Bilder

Kompositaufnahme von 30 Doradus im Infraroten und im Radiobereich
Kompositaufnahme von 30 Doradus im Infraroten und im Radiobereich
Radiobild des 30-Doradus-Nebels aus ALMA-Daten
Radiobild des 30-Doradus-Nebels aus ALMA-Daten
Infrarotaufnahme des Tarantelnebels
Infrarotaufnahme des Tarantelnebels
Tarantelnebelregion im Sternbild Dorado
Tarantelnebelregion im Sternbild Dorado

Videos

30 Doradus vom sichtbaren Licht bis zu Radiowellenlängen
30 Doradus vom sichtbaren Licht bis zu Radiowellenlängen
Zoom auf den Tarantelnebel bei Radiowellenlängen
Zoom auf den Tarantelnebel bei Radiowellenlängen