Pressemitteilung

Detailscharfer Blick auf Beteigeuze zeigt, wie Riesensterne Masse verlieren

Endnote

29. Juli 2009

Mit Hilfe einer Kombination verschiedener Beobachtungstechniken am Very Large Telescope der ESO haben zwei verschiedene Astronomengruppen das bislang detailschärfste Bild des Überriesensterns Beteigeuze gewonnen. Dabei zeigt sich, dass der Stern eine gewaltige Gaswolke ausstößt, die fast so groß ist wie unser Sonnensystem, und dass an seiner Oberfläche gigantische Gasblasen brodeln. Diese Entdeckungen geben wichtige Hinweise darauf, wie es kommt, dass solche Riesensterne mit der Zeit enorme Mengen an Sternenmaterie verlieren.

Beteigeuze – der zweithellste Stern im Sternbild Orion (des Himmelsjägers) – ist ein roter Überriese, einer der größten bekannten Sterne, fast tausend Mal so groß wie unsere Sonne [1]. Er ist zudem einer der leuchtkräftigsten bekannten Sterne und sendet mehr Licht aus als 100.000 Sonnen. Derart extreme Eigenschaften verheißen dem Stern eine recht kurze Lebensdauer: Obwohl er nur wenige Millionen Jahre alt ist, geht Beteigeuze dem Ende seines Lebens entgegen und dürfte in nicht allzu langer Zeit in Form einer Supernova explodieren. Die Supernova sollte von der Erde aus selbst am Taghimmel deutlich sichtbar sein.

Rote Überriesen bergen noch einige Geheimnisse. Eines davon ist die Frage, wie es diesen Giganten gelingt, derart große Mengen von Materie auszustoßen – etwa eine Sonnenmasse in nur 10.000 Jahren. Nun haben zwei Astronomengruppen das Very Large Telescope (VLT) der ESO und fortschrittlichste Beobachtungstechniken benutzt, um Beteigeuze so genau zu beobachten wie nie zuvor. Mit ihren Beobachtungsergebnissen könnte sich das Problem des Masseverlustes lösen lassen.

Die erste Forschergruppe benutzte das Instrument NACO [2], das über so genannte adaptive Optik verfügt, in Verbindung mit einer Technik namens lucky imaging (wörtlich etwa “glückliches Abbilden”), um die bislang detailschärfsten Bilder von Beteigeuze zu erzeugen – und das, obwohl das VLT auf dem Erdboden steht, und das Licht astronomischer Objekte zuerst die turbulente Erdatmosphäre durchqueren muss, bevor es das Teleskop erreicht. Beim lucky imaging wird eine Vielzahl von Bildern aufgenommen. Die Störungen aufgrund der Erdatmosphäre verändern sich ständig, und machen sich auf einigen dieser Bilder stärker, auf anderen fast gar nicht bemerkbar. Am Ende werden diejenigen Bilder, bei denen die Störungen am geringsten sind, ausgewählt und kombiniert; das Ergebnis ist eine deutlich schärfere Aufnahme, als mit einem einzigen, länger belichteten Bild möglich gewesen wäre.

Die resultierenden NACO-Bilder sind fast so scharf, wie es mit einem 8-Meter-Teleskop überhaupt nur möglich ist. Sie haben eine Auflösung von 37 Millibogensekunden – in etwa unter diesem Winkel erscheint ein Tennisball auf der Internationalen Raumstation ISS einem Beobachter auf dem Erdboden.

“Dank dieser beeindruckenden Bilder konnten wir eine große, langgestreckte Gaswolke nachweisen, die sich von Beteigeuzes Oberfläche aus in den Weltraum erstreckt”, erzählt Pierre Kervella vom Pariser Observatorium, der Leiter der Forschergruppe. Die Gaswolke reicht von der Sternoberfläche bis zu einer Entfernung, die sechs Mal dem Durchmesser von Beteigeuze entspricht – und damit ungefähr der Entfernung zwischen der Sonne und ihrem äußersten Planeten Neptun.

“Das zeigt deutlich, dass die äußeren Sternenschichten nicht in alle Richtungen gleichmäßig Materie abgeben”, fügt Kervella hinzu. Zwei Mechanismen könnten diese Asymmetrie erklären. Der eine geht davon aus, dass der Massenverlust vornehmlich in Richtung der Sternpole stattfindet (und damit mit der Rotation des Sterns zusammenhängen dürfte). Die andere Möglichkeit ist, dass die Gaswolke entsteht, weil sich die Sternenmaterie der oberen Sternschichten auf- und abbewegt – ein Phänomen namens Konvektion, das aus dem Alltag wohlbekannt ist: Auch bei brodelnd kochendem Wasser tritt Konvektion auf, mit Wasser, das emporsteigt und wieder in die Tiefen des Topfes absinkt.

Um näheres herauszufinden mussten die Astronomen noch detailschärfere Bilder des Giganten aufnehmen. Dazu verwendeten Keiichi Ohnaka vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn und seine Kollegen eine Technik namens Interferometrie. Mit dem Instrument AMBER am Very Large Telescope Interferometer (VLTI) der ESO [3] kombinierten sie das Licht der drei 1,8-Meter-Hilfsteleskope des VLT so, dass die drei Einzelteleskope wie ein virtuelles Teleskop mit einem gigantischen 48-Meter-Spiegel agierten. Mit dem exzellenten Auflösungsvermögen eines derart großen Spiegels gelang es den Astronomen, vier Mal detailschärfere Bilder des Sterns zu gewinnen, als es bei den NACO-Messungen möglich gewesen war (so ließe sich ein Objekt von der Größe einer Murmel auf der ISS vom Erdboden aus nachweisen).

Ohnaka erklärt: “Unsere Beobachtungen mit AMBER sind die detailschärfsten Beobachtungen, die jemals an Beteigeuze vorgenommen wurden. So konnten wir nachvollziehen, wie sich das Gas in den unterschiedlichen Regionen der Oberfläche von Beteigeuze bewegt – das erste Mal, dass solche Messungen an einem anderen Stern als unserer Sonne gelungen sind.”

Die Beobachtungen mit AMBER zeigen, dass sich das Gas in der Sternatmosphäre von Beteigeuze in der Tat heftig auf- und abbewegt, mit Gasblasen, die fast so groß sind wie der Riesenstern selbst. Aufgrund dieser einmaligen Beobachtungen haben die Forscher nun vorgeschlagen, dass diese Gasbewegungen dafür verantwortlich sind, dass Beteigeuze die beobachtete längliche Gaswolke ausgestoßen hat.

Endnoten

[1]: Wenn Beteigeuze im Zentrum unseres Sonnensystems stünde, würde er sich bis fast zur Jupiter-Umlaufbahn erstrecken. Merkur, Venus, die Erde und er Mars, sowie der Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter, befänden sich im Sterninneren.

[2]: NACO ist eine Kombination aus adaptiver Optik, Kamera und Spektroskop, die an einem der Teleskope des VLT angebracht ist. Die adaptive Optik wurde von einem französischen Konsortium entwickelt; sie ermöglicht es, die Bildstörungen, die entstehen, wenn das Licht ferner astronomischer Objekte die turbulente Erdatmosphäre durchquert, weitgehend auszugleichen. Die zweite NACO-Komponente, die Kamera-Spektroskop-Kombination CONICA, wurde vom Max-Planck-Institut für Astronomie (Heidelberg) und dem Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik (Garching) entwickelt.

[3]: AMBER ist ein Interferometrie-Instrument für Beobachtungen im nahen Infrarotbereich, das 2004 fertiggestellt wurde. Mit solchen Instrumenten lassen sich mehrere Teleskope so zusammenschalten, dass sie wie ein einziges, deutlich größeres Teleskop agieren. AMBER wurde in Zusammenarbeit deutscher, französischer und italienischer Institute konstruiert; die Detektoren wurden am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn entwickelt.

Weitere Informationen

Die hier geschilderten Ergebnisse wurden in zwei Fachartikeln in der Zeitschrift Astronomy and Astrophysics veröffentlicht: Pierre Kervella et al., “The close circumstellar environment of Betelgeuse: Adaptive optics spectro-imaging in the near-IR with VLT/NACO” und Keiichi Ohnaka et al., “Spatially resolving the inhomogeneous structure of the dynamical atmosphere of Betelgeuse with VLTI/AMBER”.

Zu dem Forscherteam um P. Kervella gehören: P. Kervella, G. Perrin, S. Lacour, and X. Haubois (LESIA, Observatoire de Paris, France), T. Verhoelst (K. U. Leuven, Belgien), S. T. Ridgway (National Optical Astronomy Observatories, USA), und J. Cami (University of Western Ontario, Canada). Das Team um Keiichi Ohnake besteht aus: K. Ohnaka, K.-H. Hofmann, T. Driebe, F. Millour, D. Schertl und G. Weigelt (Max-Planck-Institut für Radioastronomie, Bonn), M. Benisty (INAF-Osservatorio Astrofisico di Arcetri, Firenze, Italy), A. Chelli (LAOG, Grenoble, France), R. Petrov und F. Vakili (Lab. H. Fizeau, OCA, Nice, France) sowie Ph. Stee (Lab. H. Fizeau, OCA, Grasse, France).

Die Europäische Südsternwarte ESO (European Southern Observatory) ist die führende europäische Organisation für astronomische Forschung und das wissenschaftlich produktivste Observatorium der Welt. Getragen wird die Organisation durch ihre 14 Mitgliedsländer: Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Österreich, Portugal, Spanien, Schweden, die Schweiz, die Tschechische Republik und das Vereinigte Königreich. Die ESO ermöglicht astronomische Spitzenforschung, indem sie leistungsfähige bodengebundene Teleskope entwirft, konstruiert und betreibt. Auch bei der Förderung internationaler Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Astronomie spielt die Organisation eine maßgebliche Rolle. Die ESO betreibt drei weltweit einzigartige Beobachtungsstandorte in Nordchile: La Silla, Paranal und Chajnantor. Auf Paranal betreibt die ESO mit dem Very Large Telescope (VLT) das weltweit leistungsfähigste Observatorium für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren Lichts, und VISTA, das größte Durchmusterungsteleskop der Welt. Die ESO ist der europäische Partner für den Aufbau des Antennenfelds ALMA, das größte astronomische Projekt überhaupt. Derzeit entwickelt die ESO das European Extremely Large Telescope (E-ELT) für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren und Infrarotlichts, mit 42 Metern Spiegeldurchmesser ein Großteleskop der Extraklasse.

Die Übersetzungen von englischsprachigen ESO-Pressemitteilungen sind ein Service des ESO Science Outreach Network (ESON), eines internationalen Netzwerks für astronomische Öffentlichkeitsarbeit, in dem Wissenschaftler und Wissenschaftskommunikatoren aus allen ESO-Mitgliedsstaaten (und einigen weiteren Ländern) vertreten sind. Deutscher Knoten des Netzwerks ist das Haus der Astronomie am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg.

Links

Kontaktinformationen

Pierre Kervella
Observatoire de Paris-Meudon
Paris, France
Tel: +33 1 45 07 79 66
E-Mail: Pierre.Kervella@obspm.fr

Keiichi Ohnaka
Max-Planck Institute for Radio Astronomy
Bonn, Germany
Tel: +33 1 45 07 79 66
E-Mail: kohnaka@mpifr-bonn.mpg.de

Olivier Hainaut
ESO
Garching, Germany
Tel: +49 89 3200 6752
E-Mail: ohainaut@eso.org

Markus Nielbock (Pressekontakt Deutschland)
ESO Science Outreach Network und Haus der Astronomie
Heidelberg, Deutschland
Tel: +49 6221 528-134
E-Mail: eson-germany@eso.org

Connect with ESO on social media

Dies ist eine Übersetzung der ESO-Pressemitteilung eso0927.

Über die Pressemitteilung

Pressemitteilung Nr.:eso0927de
Legacy ID:PR 27/09
Name:Betelgeuse
Typ:Milky Way : Star : Evolutionary Stage : Red Supergiant
Facility:Very Large Telescope
Instruments:AMBER, NACO, VINCI
Science data:2009A&A...504..115K
2009A&A...503..183O

Bilder

Künstlerische Darstellung einer Gaswolke über Beteigeuze
Künstlerische Darstellung einer Gaswolke über Beteigeuze
A close look at Betelgeuse
A close look at Betelgeuse
nur auf Englisch
Betelgeuse in Orion (with annotations)
Betelgeuse in Orion (with annotations)
nur auf Englisch
Eine Rauchwolke über Beteigeuze (Künstlerische Darstellung mit Anmerkungen)
Eine Rauchwolke über Beteigeuze (Künstlerische Darstellung mit Anmerkungen)
Digitized Sky Survey image of Betelgeuse
Digitized Sky Survey image of Betelgeuse
nur auf Englisch

Videos

Zoom in on Betelgeuse
Zoom in on Betelgeuse
nur auf Englisch